Der LeiseMelk hat das Hasli für ein paar Wochen verlassen. Nun steht er etwas verloren in einem schicken Büro in Granges-Paccot am Tisch eines jungen Ingénieurs und schaut durch ein grosses Fenster nach draussen. Dort weidet gemütlich das Fribourger Schwarzfleckvieh. Gruyère! Maréchal! Le Bon Vaudois! Ein Paradies für den LeiseMelk! Und was für ein Unterschied zur Hölle im Meiringer Carport!
Aber unser LeiseMelk darf jetzt nicht raus. Unser LeiseMelk steht deshalb am Tisch eines Ingénieurs, weil er jetzt eine erste kleine Transformation der inneren Werte erfährt. Es ist sozusagen an der „haute école de l’avenir énergétique“ und ihm wird jetzt schrittweise beigebracht, wann er als kleine „Sonnenlunge“ den mit Sonnenenergie angereicherten Netzstrom einatmen und wann wieder ausstossen soll. LeiseMelk lernt mitzudenken. LeiseMelk wird „netzgschpürig“: Er soll merken, wann es zu viel des Guten ist, und wann zu wenig. Und LeiseMelk wird zum Helfer der Heinzelmännchen.
Und damit hält es sich so: Stellt euch vor, Kinder, lange vor der Energiewende, und bevor Öle und Gase in Strömen flossen, als die Kohle noch allesamt in der Erde war und nicht an Klimakonferenzen als unumgänglicher Wirtschaftsfaktor gehobludelt wurde – wie sagte doch unlängst ein polnischer Politiker: „Wenn die Wirtschaft schneller wächst, als das Klima kaputt geht, dann sind wir doch noch einmal mit einem blauen Auge davongekommen, meine Damen und Herren!“ – und man zur Erhellung der Häuser nur Kerze und Docht kannte, legten sich die Menschen nieder um zu schlafen. Aber ihre Arbeit war dann mitnichten gemacht! Nein! Ihr Leben war eine grauenvolle Aneinanderreihung endlos langer Arbeitstage, wovon ihre Hände schwielig, ihre Haut runzelig und ihre Stimmung madig wurde. Und wie sie so schwielig, runzlig und madig herumdösten, kamen ihnen im Traum die Heinzelmännchen herbei. Unermüdlich, diszipliniert, einem an Nordkoreanische Verhältnisse erinnernden Arbeitsethos folgend. Sie kamen in der Nacht und halfen allen rechtschaffenen Menschen, die nicht mehr arbeiten konnten, als ihre Hände eben hergaben. So war Aufstehen natürlich das reinste Vergnügen, und die Morgenmuffel starben aus.
Und dann ebenso die Heinzelmännchen. Was war passiert? Die Maschinen, die Produktivität, Energie im Überfluss, Automation, Roboter, als das geht dem nachtaktiven Heinzelmännchen in unseren Breitengraden an den Kragen. Zeit also, für die Heinzelmännchen, sich neu zu erfinden! Und so entstand das Sonnenheinzelmännchen. Zuerst auf Alphütten, fernab, und heute immer mehr bei allen rechtschaffenen Menschen, schieben sie an Sonnentagen unermüdlich Elektronen in das Stromnetz. Und weil es in Deutschland, der Heimat aller rechtschaffenen Menschen, plötzlich so viele Sonnenheinzelmännchen gibt, werden sie plötzlich zur Plage. Nicht immer, aber immer öfter. Das macht die Heinzelmännchen traurig. Erstens, weil sie nicht an die Öffentlichkeit gezerrt werden wollen, sie sind diskrete Schaffer, zweitens, weil sie doch nur Gutes tun wollen. Und deshalb haben die Heinzelmännchen jetzt den LeiseMelk entdeckt. Er versteckt die Elektronen, die sie munter ins Netz schieben, am Tag und lässt die diskret wieder heraus in der Nacht. Einatmen, ausatmen. Niemand merkt etwas. Das Kohlemonster schläft ruhig weiter, die Verbrennungsmotoren träumen von Deepwater Horizon, Exxon Valdez und Badeferien im Nigerdelta, während die i3s, Teslas, i-ons, iMievs, Thinks und wie sie alle heissen, sich mit Sonne füllen. Einatmen- Ausatmen. So wie alles Lebende.